dot.research - Was hat Agile mit Qualitätsmanagement zu tun?

David Berger
27. November 2018

Anlässlich einer Fachveranstaltung der Size Consens AG durfte ich einen Vortrag über Qualitätsmanagement und Agilität halten. In diesem Blog möchte ich gerne meinen Gedanken mit Euch teilen. 

In seinem Kurzvortrag resümiert David die Geschichte der Agilität. Agilität ist der grosse Treiber der modernen Corporate IT. Doch das war keine genuine IT-Erfindung, sondern ist die Fortführung eines langen Trends zu mehr - jawohl! - Qualität. Was ist Agilität, und was hat das mit Qualitätsmanagement zu tun, davon handelt Davids Kurzvortrag.

https://size-consens.ch/fachverantstaltungen/

Bevor ich die Wirtschaftsgeschichte der IT in den Fokus stelle, möchte ich das allgemeine Verständnis der europäischen Wirtschaftsgeschichte beleuchten. Ich interpretiere drei grosse Meilensteine:

  • Das "Handwerk" (1200-1600)
    Der Meister in seinem Handwerk, die Zunft als Organisation, grosse Selbstidentifikation des Menschen mit dem Handwerk, urban
  • Die "Manufaktur" (1600-1800)
    Erste interdisziplinäre Zusammenarbeit, grössere Hierarchie, gelenkt und gesteuert, suburban
  • Die "Fabrik" (ab 1800)
    Eine Fabrik gleich ein Produkt, Maschinen statt Menschen, Entfremdung, vom Raum entkoppelt

Doch die Entwicklung endet nicht mit der Fabrik. Mit Industrie 4.0, also der vierten industriellen Revolution, konnten sich "handwerkliche" Anforderungen wie Losgrösse 1, U-Fertigung oder "manufakturliche" Mass Customization wieder durchsetzen. Die "böse" und streng tayloristische Fabrik ist mittlerweile obsolet. Unsere Ära kombiniert das Beste aller Zeiten und beschleunigt und automatisiert es mittels modernster Technologien.

Die Wirtschaftsgeschichte der IT ist relativ jung. Die Liste der grössten Unternehmen dominieren erwartungsgemäss "klassische" Industrien wie Öl und Gas, Automobil sowie Pharma. Einige Unternehmen bestehen schon seit hundert Jahren. Alphabet, Amazon, Apple und Microsoft konnten ein wenig nachrücken. Die IT hat die Entwicklung vom Handwerk über die Manufaktur bis hin zur Fabrik innerhalb von zwanzig Jahren abgeschlossen. 

Gemeinsamer Vater

Qualitätsmanagement ist Industrialisierung. Die Industrialisierung startete mit Qualitätsmanagement; erste Qualitätskontrollen entstanden in den Fabriken. Die Qualitätstechniken haben sich über die Jahrzehnte weiterentwickelt und endeten in umfassenden Qualitätsmanagement-Systemen. Total-Quality-Management (TQM) krönt diese Entwicklung - und entstand aus der japanischen Lean-Bewegung.

Agilität stammt ebenfalls aus der Lean-Bewegung. Qualitätsmanagement und Agilität sind beides Söhne Abrahams. Wobei Qualitätsmanagement der ältere Sohn ist. Agilität hat sich insbesondere in der IT durchgesetzt und setzt dort den heutigen Benchmark. Scrum, die populärste Implementation von Agilität, hat als oberstes Ziel Qualität. Eine wesentliche Säule von Scrum ist beispielsweise dann auch "Inspizieren und Adaptieren". QM-Geschulten ist das sehr vertraut.

Qualität in der IT ist nicht neu

Auch schon vor Scrum und Agilität war die Corporate IT bestrebt, Qualität sicherzustellen. Das mittlerweile verkommene CMMI-Maturitätsmodell beanspruchte, die IT-Qualität total zu vermessen und kontinuierlich zu verbessern. Die höchste CMMI-Stufe (5) fordert dann auch "kontinuierliche Verbesserung". Qualität als Systemziel also. Ebenso gründete das IT Operations Framework ITIL darauf, IT Services zu standardisieren und damit die Qualität zu erhöhen.

Doch diese Bemühungen scheiterten. CMMI und ITIL sind sehr angeschlagen. Sie haben verkannt, dass IT nicht die "Fabrik", sondern vielmehr das "Handwerk" verkörpert. Die für die Wissensarbeit ungeeigneten Praktiken - wie beispielsweise Standardisierung, Parallelisierung und totale Arbeitstrennung - verursachen unendliche "Lead"-Zeiten für IT-Anforderungen, unzählige "komische" IT-Rollen, die eigentlich nichts mit dem eigentlichen Entwickeln zu tun haben.

Zerstörung der IT durch Industrialisierung

Die IT begann als motiviertes Handwerk einzelner herausragender Meister. Die Industrialisierung der IT mit der "IT-Fabrik" zerstörte die Kreativität und Spitzenleistung und begünstigte stattdessen Mediokrität. Dieser Dienst nach Vorschrift - respektive nach Prozess - ruinierte das Ansehen der IT und diskreditierte Qualitätsmanagement-Systeme in der IT. Obschon sich Quality Gates in den Projekten und Reviews auf allen Artefakten durchgesetzt haben, wurde die Qualität nicht besser.

Die Qualität wurde nicht besser, weil die IT als tayloristische Fabrik verunstaltet wurde. Das ist ein Designfehler. Die IT ist jenseits dieser Meilensteine der europäischen Wirtschaftsgeschichte. Die IT ist nämlich:

  1. Ein "Handwerk" eines Spezialisten
  2. Eine "Manufaktur" von verwandten, weil für ein Produktinkrement zusammengehörigen Spezialisten wie Business Modelling, Requirements, Analyse und Design, Testing und Deployment - auch bekannt als BizDevOps
  3. Eine "Fabrik" im Sinne der Deployment Pipeline sowie der Containervirtualisierungen

Agile Methoden verstehen IT immer zuerst als menschliches "Handwerk", wo man nicht alle Anforderungen oder alle Lösungen im Voraus schon festlegen und somit fixieren kann. Stattdessen wachsen die Anforderungen mit der Lösung - und der Meister des Handwerks wächst mit, lernt und verbessert sich kontinuierlich.

Qualitätsmanagement als Megatrend

Seit der agilen Wende ist Qualitätsmanagement plötzlich wieder populär. Alle agilen Umsetzungsframeworks schwören auf Qualität. Qualität ist nicht verhandelbar. Das LeSS Frameworks zum Beispiel mahnt, dass Technische Exzellenz eine Vorbedingung für Agilität ist. Technische Exzellenz ist Qualität, nur anders betitelt, anders verpackt.

Was beispielsweise CMMI oder ITIL in der Corporate IT nicht gelang - Qualität als Systemziel zu verwirklichen - erledigen nun die agilen Methoden, ohne sich jedoch auf klassisches Qualitätsmanagement zu berufen. Das muss uns als QM-Geschulte nicht stören. Wir müssen einfach die neue IT-Sprache beherrschen.

Einen Einstieg in die Sprache der neuen IT vermittelt beispielsweise der Professional Scrum Master Kurs. Damit können wir QM-Geschulte unsere Begriffe aufs neue agile Zeitalter der IT übersetzen. 

Professional Scrum Master werden

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